Über die Schönheit der Dinge
Das Werkzeug
Die Funktion von Werkzeugen beginnt dort, wo der Mensch mit seinen körperlichen Fähigkeiten, mit seinen Händen, nicht mehr weiterkommt. Werkzeuge erleichtern die menschliche Existenz, sie nehmen Einfluss auf die Gesellschaft und verändern die Umwelt.
Technisch gesehen ist eine Hacke ein metallisches Blatt, an dessen hinterem Ende sich zur Aufnahme des Stiels eine ringförmige Öse oder eine Tülle befindet, in die der Stiel eingesteckt wird. Bei der Axt ist der Körper mit einem Loch versehen um eine feste Verbindung mit dem Stiel zu gewährleisten. Der Schmied verleiht dem Werkzeug seine Identität, indem er eine Signatur, eine Schmiedemarke, ein Familienzeichen oder das Herstellungsjahr in das Metall prägt.
Relikte der Arbeit
Handwerkzeuge wie Hacken, Äxte, Dechseln, Sicheln etc. symbolisieren etwas überaus Menschliches. Sie sind von Menschen hergestellt und werden von Menschen benutzt. Sie erzählen die Geschichte derer, die über Generationen mit ihnen gearbeitet haben. Sie bilden den Kampf um Broterwerb ab, zugleich dokumentieren sie den Willen und die Schaffenskraft der Benutzer. Diese Werkzeuge sind ein Zeugnis nicht nur von der Härte, sondern auch von der Kraft des Lebens.
Mich faszinieren Dinge, die ein gelebtes Leben in sich tragen. Werkzeuge sind solche stillen Zeugen ihrer Arbeit und Zeugen von Händen, die sie geführt haben. Ihre Formen folgen dem bekannten Gestaltungsleitsatz: „Form folgt Funktion“
Werkzeuge als Kunstform
Handwerklich hergestellte Werkzeuge sind einzigartig. Neben ihrem praktischen Nutzen haben sie eine materielle, haptische und körperliche Wirkung. Ihr permanenter Einsatz hinterlässt Spuren der Abnutzung, aber genau diese formbildenden Veränderungen sind gewünscht und gewollt. In diesem Verwandlungsprozess bildet sich die Schönheit mehr und mehr ab und macht das Werkzeug zu dem was es geworden ist, zu einer Skulptur mit unverwechselbarem Charakter. Letztendlich verliert das ausgediente Werkzeug seine eigentliche Funktion und entfaltet zugleich eine neue ästhetische Qualität. Meine Intention ist es diese radikale Umdeutung, diesen Wertewandel sichtbar zu machen.
Ich löse die Objekte aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang und transformiere ich sie zu Skulpturen – nicht durch große Eingriffe, sondern durch Neu-Kontextualisierung, durch Anordnung und minimale Eingriffe
Der Rost, die Abnutzung, die Spuren des Gebrauchs sind nicht Makel sondern Ausdruck. Aus Stahl wird Figur, aus Funktion wird Bedeutung. Sie waren Werkzeuge, gebraucht, verrostet und vergessen. Nun stehen sie da – aufgerichtet und neu inszeniert, Wesen aus Stahl – hart, aber verletzlich. In ihrer figürlichen Komposition fordern sie uns auf, genau hinzusehen, hinein zu spüren, Bekanntes und Vertrautes neu zu entdecken. Das bewusste Erhalten von Alterungsspuren hebt ihre Geschichte hervor und verleiht den Objekten eine narrative Qualität.
Grundsätzlich belasse ich die Werkzeuge so wie sie geworden sind, nur minimalen Formänderungen stimme ich zu. Die Oberflächen werden gereinigt, ich schütze ihre Patina, veredle die Figuren akzentuiert oder kleide sie ganz in Gold. Manche Werkzeuge füge ich sinnhaft zusammen, weil sie zusammengehören, das Paar, die Familie, die Kinder etc. Sie verkörpern ein Miteinander, Trennendes, Anziehendes oder auch Gegensätzliches.
Diese Transformation wirft Fragen auf
Wann beginnt etwas Kunst zu sein? Meine Kunstwerke thematisieren den Übergang vom funktionalen Alltagsgegenstand zur künstlerischen Skulptur. Wie verändert sich unsere Wahrnehmung, wenn wir das Bekannte in einem neuen Kontext sehen? Alte Hacken verlieren ihre ursprüngliche Funktion und gewinnen eine neue Bedeutung als ästhetische Gestalten, als Träger einer stillen und kraftvollen Sprache.
Einzelne Skulpturen und figürliche Darstellungen entfalten sich in unterschiedlich sinnlichen Ausdrucksformen, mal abstrakt, lebensnah, nachdenklich, humorvoll, oder bleiben offen für eigene Interpretationen. Sie bilden die Fülle und Vielfalt des Lebens in einer angemessenen Dramatik ab.
Der Blick für die Schönheit
Im Finden der Werkzeuge spielt das Staunen eine große Rolle, mit anderen Augen sehen und die Schönheit im Unscheinbaren entdecken. Das Suchen und Finden, der Blick und das Zupacken, beides ist wichtig für den Prozess. Hier zeigt sich das Spannungsverhältnis von Kontemplation und Aktion und je intensiver ich die Dinge sehe, umso einfacher werden sie.
In meinen schöpferischen Arbeiten spiegelt sich unverkennbar mein Gestaltungsmotto: „Gute Dinge sind einfach und wahrhaftig“. Die Genialität des Einfachen zeigt sich im Ursprünglichen und je einfacher und eindeutiger etwas ist, desto stärker wird Ausdruck und Anmut.
Der Wunsch brennt in mir, die Schönheit des Einfachen groß werden zu lassen. Mit der Sehnsucht nach wahrhaftiger Schönheit entstehen in der Betrachtung der Skulpturen innere Bilder, sie erzählen voll Würde von ihrer Vergangenheit und hauchen zugleich neues Leben in die Werkzeuge.
Würdigung
Respektvoll erhöhe ich die Figuren ausdrucksvoll auf einen Sockel. Das ist meine Huldigung an das Handwerk, an die Werkzeuge und an die Schönheit.
Dirk Müller, Designer
Juli 2024
